Anrede zur Eröffnung der Sonderausstellung „1875 – 1900 – 1935 Drei Nieskyer Kirchen feiern ihr Kirchenjubiläum“ im Johann-Raschke Haus, Niesky

Mit der Errichtung von drei Häusern ist unsere Stadt 1742 durch die „Böhmischen Brüder“, bei denen selbstverständlich viele Schwestern waren, gegründet worden.

Diese Leute wollten ihr Leben konsequent nach ihrem Glauben gestalten. Sie richteten sich freilich nicht nur geistlich aus. Sie waren zugleich auch sehr tüchtige Handwerker, immer auch an technischem Fortschritt interessiert. Den sahen sie zugleich kritisch, aber sie wussten ihn zu nutzen. Mit der Zeit wuchs in Niesky die später international agierende „Waggonbau Christoph & Unmack Aktien Gesellschaft“ heran.

„Fachkräftemangel“ gab es auch früher schon. So wurde 100 Jahre nach Gründung der Stadt, 1842, der Zuzug von „Nichtbrüderischen“ erlaubt. Es wundert nicht, dass Niesky bald Einwanderungsstadt wurde. Es kamen dabei meist aus Schlesien auch Menschen katholischen Glaubens. Um 1925 war die Zahl der Katholiken aufgrund zugewanderter Gläubiger auf 350 angewachsen.

Die Aktiengesellschaft wollte ihrerseits ihren Arbeitern angemessenen Wohnraum bieten. So entwickelten Ingenieure des Unternehmens Anfang des 20. Jahrhundert in Anlehnung an die alte Fachwerkbauweise vorgefertigte Hausprojekte.

Diese Wohnhausprojekte blieben nicht nur in Niesky. Sie wurden u.a. auch in die Missionsstationen der Herrnhuter Brüdergemeine nach Afrika und Nordamerika weitergereicht.

Von dort kam schließlich die Nachfrage nach einem Kirchenprojekt in gleicher Bauweise. Es entstand daher das Interesse, in Niesky einen geeigneten Musterbau zu errichten.

Es lag nahe, auf diese Weise den Katholiken der Stadt zu einem preiswerten Kirchbau zu verhelfen: Die St. Josefs-Kirche. Am 31. Juli 1935 wurde der Grundstein gelegt. Nach 3 ½ Monaten, am 17. November, wurde die Kirche eingeweiht.

Wir sehen in der Kooperation von Aktiengesellschaft und Kirche ein schönes Beispiel einer Kooperation von weltlichem und kirchlichem Interesse, von wirtschaftlichem Vorteil und spirituellem Bedürfnis.

Diese erfolgreiche Kooperation zeigt beispielhaft, „wes Geistes Kind“ Christen eigentlich sind.

Denn immer wieder bewegt die Öffentlichkeit die Frage: Wie sind eigentlich gläubige Christen? Was ist ihr Inneres? Sind sie ganz normale Zeitgenossen oder sind sie aus der Zeit gefallen? Wie ticken sie? Gehören getaufte Menschen ganz normal dazu und sind sie gesellschaftsfähig oder sind sie bisschen komisch und im Zweifelsfall nicht so ganz ernst zu nehmen?

Diese Fragen sind existentielle Fragen immer wieder auch von Kirchgemeinden. Sie brechen besonders in extremen historischen Situationen auf, sind aber im Hintergrund eigentlich immer vorhanden.

Denn nach unserer Heiligen Schrift, der Bibel, sind wir Bürger des Reiches Gottes und stehen gleichzeitig mit beiden Beinen fest auf dem Erdboden. Nach dem Epheserbrief (2,19) sind Christen Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes. Nach unserem Personalausweis sind wir zugleich Mitglied eines ganz profanen irdischen Gemeinwesens z.B. der Stadt Niesky.

Die Fragen, wie sich das zueinander verhält und miteinander vereinbar ist, bewegen Getaufte und Außenstehende seit Entstehung des Christentums. Beispielsweise versucht im 2. Jahrhundert der „Brief an Diogenet“ eine Antwort auf die Frage nach der Lebensart der Christen zu geben. Dort heißt es: „Sie wohnen in ihrer jeweiligen Heimat, aber wie Ausländer; sie nehmen an allem teil wie Bürger ihrer Stadt und bleiben doch Fremde; jedes fremde Land ist ihnen Heimat, und jede Heimat ist ihnen fremd.“

Vielleicht sind Christen so etwas wie Doppelstaatler.

An unserer St. Josefs-Kirche kann man ablesen, dass das Reich Gottes und die irdische Welt ineinander verschränkt und verwoben sind, dass wir Christen Bürger der Stadt Niesky sind und Bürger des Reiches Gottes.

Wir sehen Aufgaben in unserer Stadt, in unserem Land, in unserer Welt. Und wir können die Probleme unserer Gesellschaft vor Gott bringen und betrachten es als eine Ehre, mit den Maßstäben des Reiches Gottes im Kopf und im Herzen an ihren Lösungen mitzuarbeiten.

Ich danke den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Museums, besonders Frau Bergmann, dass Sie versuchen, mit Ihrer Ausstellung die gesellschaftliche Bedeutung der Kirchen erneut in das Nieskyer Bewusstsein zu bringen.

Pfarrer Norbert Joklitschke